Michael Scheirl - Typologien des Unsichtbaren (de) - a podcast by CastYourArt.com

from 2022-02-22T03:11:13.469133

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Michael Scheirl - Typologien des Unsichtbaren

Jede Stadt ist ein kollektiver Text, der eine kollektive Erinnerung weitergibt und aufbewahrt, ein geografisches und historisches Narrativ, die Straße oder Autobahn artikuliert Formen, durch die wir mit dem städtischen Raum in Beziehung treten oder uns von ihm distanzieren. So haben wir alle den Gebrauch der Straße gemeinsam, die Autofahrt, den Weg, den Gehsteig.

Die Sujets Michael Scheirls stammen aus der Alltagswelt, der normalen Tagesrealität. Die Orte, die er beschreibt, haben eine generische Qualität und sehen doch seltsam vertraut aus: Die Landschaft verwandelt sich in eine mentale Konstruktion von abstrakten Oberflächen mit einem verschwommenen Untergrund, die Straße und ihr Mobiliar werden zu einer Vorrichtung der Erinnerung, sie zieht aus den Benützern ihre unbewussten Gedanken heraus und verkörpert sie.
In der Kunst Michael Scheirls gibt es zwei dargestellte Wirklichkeiten, die sich ergänzen: die sicht- und fühlbare Außenrealität, und die physische Realität des Bildes, die im Gebrauch der bildnerischen Mittel ausgedrückt wird. Der Weg der Subtilitäten die uns Scheirl anbietet, ist ein doppelter: ein scheinbarer Blick auf die Landschaft, wo der Ort in der Welt abgebildet ist, der uns platziert; und eine Abstraktion von unterschwelligen Orten, Straßen, Städten, wo Traum und Erinnerung in einem Gleichgewicht zusammenleben.
Zwischen Fluchtpunkten und sorgfältigen Stimmungen destilliert er seine szenische Wahrheit zu einem bildlichen Ideal, in dem, ohne theatralisch und artifiziell zu sein, die Details das Anekdotische besiegen. Die Methode ist jedoch keine Pose: Das Licht, die Reflexe, die Linien und Figuren in flüchtiger Bewegung sind eine Szenographie von Leichtigkeiten, wo man eine verlorene Geschichte, eine flüchtige Fährte, ein verwaistes Vermächtnis oder ein zerbrochenes Rätsel findet – die Straßen und Oberflächen werden zu einem Territorium, in das nur die Malerei Zugang hat.
Scheirl zeigt Möglichkeiten, mit seiner Hand ein Stück neutrales Leben bar jeder Faszination, da es schon vom Auge zu sehr gesehen und abgenützt ist, zu verwandeln – in einem Moment der eine epische Sicht auslöst, auf aus unendlichen Räumen geschaffene Perspektiven die plötzlich ausgedehnt oder verkürzt werden, in ihrer Einmaligkeit als Medium, das sich physisch an nicht anderes angleichen kann.
Er ist kein Chronist des urbanen Alltags und die menschliche Figur ist nur flüchtig in seinen Bildern vorhanden. Obwohl er seine Bilder in diesem Panorama verortet, verlangt er doch nicht, dass die Straße zu einem Bühnenbild für das Geschichtenerzählen herhält.
Die materiale Realität ist die am wenigsten augenscheinliche Eigenschaft und dennoch am präsentesten in seinem Werk, Scheirl forciert so die ursprüngliche Intention der Malerei, eine noch nicht da gewesene Sicht der Welt zu geben oder eine unbekannte Welt abzubilden, die in der Alltagsrealität latent vorhanden ist.
Scheirl ist Beobachter und Neuerschaffer. Er wiedererfindet die Stadtlandschaft, indem er ein kleines Stück Ausschnitt der Erdoberfläche entnimmt, zerlegt, und wieder zusammensetzt. Seine Straße und ihre Bestandteile aus Verkehrzeichen, Straßenbelag, Fahrbahnmarkierungen, Kanalgittern existiert, aber sie ist in dieser organisierten visuellen Dekonstruktion neu zu lesen.
In seinen Vermessungen des städtischen Raumes lässt der Maler manchmal eine Botschaft über das Relative der Zeit durchscheinen, vom Vergehen des Lebens und der Unterwerfung von uns allen vor dem unvermeidlichen Schicksal.
Entgegen dem Anschein ist es nicht das Thema, das die Hand des Künstlers führt, sondern die Emotion des Malens und damit die Notwendigkeit mit dem inneren Auge zu sehen, um dann das Bild begrifflich und figurativ wieder zusammenzusetzen. Dem Betrachter wird die Arbeit übertragen, teilzunehmen an der Wiederzusammensetzung der Wirklichkeit, die er fühlt und sieht. (Text: Cem Angeli)
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