Jasper Fforde: Early Riser - a podcast by Irmgard Lumpini, Anne Findeisen & Herr Falschgold

from 2022-01-02T10:49:08

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Kerouacs “On the road” ist unbestreitbar ein Frühlingsroman. Nicht im meteorologischen Sinne, keine Ahnung ob Jahreszeiten im Buch genannt werden, und wie soll man das auch rausbekommen, aber, einen Trip quer durch die US of A im Sommer in Autos noch ohne Klimaanlage zu machen ist ausgeschlossen! “On the road” also, spielt im Frühling!

J. R. Tolkien ist in “Herr der Ringe” wiederum ganz klar ein Herbstautor. Septemberbunte Wälder im Elfen- und Oktobernebelige Täler im Auenland, dazu diesig-dunkles Mordor im November, das passt.

Sommerromane gibt es nicht. Nie hat je ein Roman im Sommer gespielt, denn keiner will das Lesen. Einen Sommerroman im Winter zu lesen führt zu Depression und Suizid und am Strand im August ist es ungemütlich genug, um nicht auch noch im Buch selbst von flimmernder Hitze lesen zu müssen. Sommerroman gibt es nicht.

Winterromane sind wiederum allgegenwärti,g weil therapeutisches Kassengold. Was bleibt einem im Winter Anderes als zu lesen. Man kann das Haus nicht verlassen, weil es zu anstrengend ist, für die paar Meter in die Bar Anoraks und Winterstiefel anzuziehen und in die Bar in Bademantel und Schlappen gehen, das darf nur der Dude. Also liest man und was gibt es Kuscheligeres als die Vorhänge zuzuziehen um das, was man in der Stadt Winter nennt und doch nur Schlamm und Hundeshit ist zu verbergen und zu ersetzen mit Mengen und Mengen und Mengen von Schnee. Es kann nicht genug Schnee sein.

Und genau das liefert Jasper Fforde. Und damit das auch der letzte Borderline-Depressive am 18.November 2018 versteht, dem deutschen Erscheinungstermin des hier besprochenen Romans, übersetzt der Heyne Verlag den geheimnisvollen Titel “Early Riser”, Frühaufsteher, mit dem “Schlund auf und Rein damit” Titel “Eiswelt”. Es fehlt nur der Untertitel “Ein Winterroman”. Meine Güte.

Die Eiswelt ist, wie in vielen Romanen des Walisers Jasper Fforde, Wales, Anfang des 21. Jahrhunderts, also gerade eben. Steht die Frage, wie Wales, an der Westküste der Britischen Insel und mitten in den nordöstlichen Ausläufern des Golfstromes gelegen, der Schauplatz eines Winterromanes, mit Schnee und Gestöber sein kann. Nun, es ist nicht genau das Wales, welches ich noch letztes Jahr von Portishead, the Village, not the Band aus, mit Blick über den Severn gesehen habe. So unbeeindruckend das geographische Namedropping in der Rezension, so notwendig ist es im Roman, denn Early Riser spielt auf realen Schauplätzen in Wales, aber in einem parallelen Universum, in dem seit Jahrhunderten Eiszeit herrscht, mit Gletschern bis nach Glasgow runter, Sommertemperaturen von 32 Grad plus und Wintertemperaturen von 64 derer minus.

Die Gesellschaft, die sich um einen Winter dieser Strenge gebildet hat ist eine, die den zweimonatigen Winterschlaf, immer dann, wenn der Winter am strengsten ist, zur Strategie ihres Überlebens gemacht hat. Alles ist auf diese zwei Monate eingestellt. In den Wochen vor der Wintersonnenwende ist Bewegung verpönt, gehaltvollstes Essen anbefohlen, damit man eine gesunde Fettheit entwickle, die man in den acht Wochen des Winterschlafes auch braucht, denn was mit Kindern passiert, die ihren Pudding nicht aufessen, erzählt in diesem Wales die Nanny jeden Abend vorm einschlafen. Sie verhungern ganz jämmerlich in ihren Betten. Oder, fast schlimmer, sie wachen vorzeitig auf und fallen damit der Gesellschaft zur Last. Oder, seit der Einführung eines den Winterschlaf fördernden Medikaments, sie wachen frühzeitig als Gemüse auf und können gerade noch so Sachen wie Tom Jones Songs auf der Gitarre spielen. Und zwar immer denselben. Und bekommen, wenn sie nicht genug Kalorien in den Körper kriegen, einen verdammten Heisshunger auf ihre Mitmenschen.

Von dieser Seltsamkeit ist alles in Wales in “Early Riser”: es ist ein nicht enden wollender Trip durch ein absurdes Land aus dem Kopf von Jasper Fforde, aber, und das Wichtigste an jedem Fantasy, Schrägstrich, Gruselroman, die Seltsamkeit ist immer an der Grenze zur Plausibilität. Gruselroman, was für ein bescheuertes deutsches Wort, aber nunja, ist “Eiszeit” für unseren Kollegen Mikis Wesensbitter, der das Buch in der letzten Weihnachtssendung kurz vorstellte und von dem er sagte, “Er sei froh gewesen, dass es zu Ende gewesen sei, er hätte nachts nicht schlafen können.” Ich beneide Mikis da ein bisschen um seine Sensibilität, ich als alter Zyniker lasse mir von einem Roman, in dem ein Pharmakonzern versucht in den Träumen des Protagonisten rumzufuhrwerken, ein sehr schönes deutsches Wort, nicht im Ansatz den Schlaf rauben. Weshalb ich mir Fortsetzungen wünsche, ich möchte mehr Stories aus einer Welt wissen, in der zwar die Indiebands meiner Jugend im Radio laufen, es aber seltsamerweise keine Schusswaffen gibt sondern nur Luftdruckwaffen. Eine Gesellschaft, die sich darauf geeinigt hat, dass man sich im Winter zwei Monate hinlegt ist sowieso mein Ding, aber, dass es da immer Outlaws gibt, die sich wach halten und gar nicht schlafen, macht den Roman interessant und es soll sogar Menschen geben, die jede Nacht schlafen. Wahnsinn. Diese Outlaws sind, im Fall der Gruppe der Villains, also ganz platt “die Bösen” genannt, bei einem Roman von einem Waliser geschrieben und in Wales spielend - Na? - genau: Engländer, die mit Picknicktisch und Teekocher im Winter in Museen einbrechen um rare Briefmarken zu stehlen. Aber, und hier muss ich spoilern, so großartig ist die Idee, es gibt auch Menschen, die im Winter gar nicht schlafen, wie im Fall von Aurora, der unser Hauptheld eines Vormittags begegnet in ihrer Funktion als Sicherheitschefin besagten bösen Pharmakonzerns. Aurora hat ein halbseitige Lähmung, sie kann nur mit ihrem rechten Auge sehen und bittet entsprechend sich in diesem Sichtbereich zu bewegen. Unser Hauptheld Charlie, genannt Wonky, ist in seinem ersten Jahr als Mitglied einer Polizeieinheit namens “Winterkonsule”, die, während alle anderen schlafen dafür sorgen, dass diese das in Ruhe tun können. Am Abend stellt sich Wonky bei seiner neuen Chefin vor, Toccata, die die gleiche Behinderung wie Aurora hat, nur auf der anderen Seite des Gesichtes, sie sieht mit dem Linken Auge, weshalb die rechte Seite ihres Büros aussieht wie Bombe. Erst nach der Begegnung bekommt unser Hauptheld kichernd von einem seiner Kollegen erzählt, dass Toccata und Aurora die gleiche Person sind, ein sogenannter Halbling, bei dem jeweils eine Gehirnhälfte einen halben Tag lang schläft, die andere Tageshälfte dann die andere. Und die sich übrigens abgrundtief hassen und Fernschach miteinander spielen weil sie nicht wissen, dass sie die gleiche Person sind. Auf solche Ideen will ich mal kommen, wenn ich gross bin.

In diesem, hüstel, Winterkaleidoskop spielt eine Story von Kapitalismuskritik und dem Blick auf unsere Welt, den man nur erhält, wenn man eine Geschichte in einem Universum ansetzt, dessen Paramter die exakt nicht zu grosse und nicht zu kleine Entfernung nach rechts (oder links) verschoben sind, dass man sich selbst gerade noch ins Buch begeben könnte ohne ratlos zu sein. Jasper Fforde ist kongenial darin, genau diesen Drahtseilakt zu schreiben, wir erkennen uns in allem wieder und wundern uns, wie wir in dieser Gesellschaft leben würden, die so viel mehr tut zum Überleben als die unsere, und, man kann vermuten, zu spät, irgendwas hat zu diesen strengen Wintern schliesslich geführt. Die Fülle an popkulturellen Referenzen mögen nur britophile Leser wirklich zu schätzen wissen, oder halt Briten, aber man ahnt immer (und Google ist dein Freund), das die Welt für jemanden, der Ambrosia Creamed Rice seit seiner Kindheit zum Frühstück isst, sich dem Eiszeitlichen Wales, seiner Folklore und seinen existentiellen Problemen noch ein Stück näher fühlen wird als wir deutschen Leser.

Aber das tut der Sache keinen Abbruch. Wer es sich gerade in diesem, nach Waliser Verhältnissen milden Wintermonaten, gerne bequem macht mit einem Buch der Originalitätsstufe “Exzellent”, findet in Eiswelt oder noch besser im Original mit “Early Riser” beste Unterhaltung und ich hoffe sehr, nur den Beginn einer langen Folge von Sequels.

Ich vermute aber, dass sich Netflix schon lange und zu recht in Verhandlungen befindet, die Nummer zu verfilmen. Man sieht die verschobenen Gesichter von Haupt- und Nebenhelden vor sich, das langsame Blinken derer, die nicht in Winterschlaf verfallen und zwei Monate im Halbschlaf vor sich hindämmern, man hört den Schneesturm beim Lesen vor dem Fenster, die Luftdruckwaffen mit Namen von Bami (das kleine Handgerät) bis Schtomper, eher für Kühe geeignet, vor sich, zusammen mit den mit kleinem Budget gut umsetzbaren special effects, wenn der Luftdruck kurz den Schnee zu Regen macht und die -40 Grad Celsius das Wasser augenblicklich um den Geluftdingsbumsten erfrieren lässt, auf dass sein Kadaver erst im Frühjahr wieder auftaue. Überhaupt ist das kein Jugendroman, das Killratio ist ordentlich, aber irgendwie immer comichaft, zumindestens für Zyniker wie Herrn Falschgold, allen anderen wünsche ich besten Grusel, egal ob mit Schnee vor dem Fenster oder am Strand bei 40 Grad - Early Riser, oder wie der Heyne-Verlag es will “Eiswelt”, ist kein reiner Winterroman, aber einer der besten seit langem.

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