Jennifer Weiner "That Summer" - a podcast by Irmgard Lumpini, Anne Findeisen & Herr Falschgold

from 2021-08-29T03:00:53

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TRIGGERWARNUNG & SPOILER ALERT: Es werden Inhalte des Romans gespoilert, besprochene Themen sind Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt.

Die Werbekampagne zum heute vorgestellten Buch könnte irreführender nicht sein. Chapeau! Angepriesen als neuestes Werk der "unangefochtenen Königin des Strandbuches" Jennifer Weiner, die stattliche 15 No. 1 auf der Bestsellerliste der New York Times ihr Eigen nennen kann, und deren klassische Heldin in ihren eigenen Worten so charakterisiert wird: “ein glückliches Ende finden, während sie sich selbst treu bleibt.” 

Bei einem Werbeauftritt in Amerikas - meint hier The United States of - berühmtester Guten-Morgen-Fernsehshow "Good Morning America!" unterhält sich Autorin Jennifer Weiner einige kurze Minuten mit den 3 Hosts der Sendung über ihr gerade veröffentlichtes Werk "That Summer", und wir erfahren:

1. Jennifer Weiners Mutter ist vor kurzem gestorben, und eine der wichtigsten Lektionen, die sie von ihr gelernt hat, ist Body Positivity, also das Wohlsein im eigenen Körper, dessen Möglichkeiten kennend und wertschätzend, unabhängig davon, ob das heute zum Glück immer mehr schwindende Traummaß des 90-60-90 erreicht wird.

2. Gefragt, warum ihre Heldinnen immer dem gleichen Muster zu folgen scheinen, antwortet sie mit einem Zitat von Toni Morrison, bei der sie auch mal einen Schreibkurs besucht hat: "Wenn es ein Buch gibt, dass du lesen musst, und es steht nicht in der Buchhandlung, musst du es selbst schreiben. (Ziemlich sicher gibt es eine bessere als diese sehr freie Übersetzung.)

3. "That Summer" wurde während der Pandemie geschrieben, als sich Jennifer Weiner zu Hause mit ihrer Familie ununterbrochen konfrontiert sah und sich zu einem Platz schreiben wollte, den sie liebt. Voilá: Cape Cod.

4. Zwei der Protagonistinnen sind 15 Jahre alt, so alt wie die Tochter der Autorin. Sie ansehend fragt sie sich: Hat sich die Welt geändert, seitdem ich in diesem Alter war? Habe ich mich geändert? Und wenn ja, ist es jetzt besser?

5. Wenn es nicht besser ist, was muss getan werden, was muss ich tun, damit sie besser wird?

Und weil die Show Good Morning America! heißt, lächeln alle in die Kamera, pandemiebedingt in 4 Kacheln und nicht im selben Raum. Jennifer Weiner hält noch kurz das Buch in die Kamera und winkt.

Ähnlich war die Ankündigung des Buches auf einer der von mir frequentierten Empfehlungslisten. Could have fooled me! Hat es auch.

Zurück zu 4. Ich nummeriere hier ja nicht umsonst: Hat sich die Welt geändert, und falls ja, ist es besser? Ja, vielleicht, hoffentlich, sonst könnte man den ganzen Bumms auch anzünden. 

Zurück zur eingangs erwähnten Marketingkampagne und einem radikalen Bruch mit Studio Bs nirgendwo niedergeschriebenem, mündlich aber öfter formulierten Anspruch, hier in denglish, DIE STORY NICHT ZU SPOILERN: 

Bei “That Summer” handelt es sich nicht um ein unbeschwertes Buch, das zur Sonnencremebeschmierten und zwischen den Seiten Sand ansammelnden Sommerlektüre empfohlen werden kann, weil der Plot den champagnerinduzierten Schwips verstärkt, auch wenn das in fast allen Empfehlungen und Besprechungen so erscheint. 

Und ein weiterer Beweis der These, dass Kritiker*innen nicht immer das rezensierte Werk tatsächlich auch - wenigstens ansatzweise und überfliegend - gelesen haben.

"That Summer" ist die Geschichte zweier unterschiedlicher Frauen, beide heißen Diana, die eine wird Daisy genannt. Sie verfolgen geradezu konträre Lebensentwürfe. Während Diana als erfolgreiche Vertreterin durch die Staaten reist und ein luxuriöses Leben als Single führt, finden wir Diana, die sich als Kochlehrerin ein berufliches Standbein aufgebaut hat, als Organisatorin, Putzfrau, seelischer Mülleimer und mit dezenter Unaufmerksamkeit durch ihren ein paar Jahre älteren Ehemann Hal und mit offenerer Abneigung durch ihre 15jährige Tochter Beatrice bedachte, ein wenig einsame Frau, deren äußere Lebensumstände Zufriedenheit bringen sollten, sie aber zunehmend irritieren. Die beiden begegnen sich, weil Dianas Mails aufgrund eines Tippfehlers in der E-Mail-Adresse bei Daisy landen. Bei einem ersten Treffen der unterschiedlich situierten Frauen sind sich beide sympathisch, eine Freundschaft bahnt sich an.

Der Plot von “That Summer” wird in 2 zeitlichen Linien entwickelt: rückblickend auf die Geschehnisse eines Sommers, eben “That Summer”, deren Protagonistin Diana ist, und in der Jetztzeit, mit reflektierenden Rückblicken auf Daisys Geschichte und immer weiteren Enthüllungen über Dianas Leben.

Im Sommer 1987 hat Diana als 16jährige einen Sommer auf Cape Cod verbracht, als Aushilfe in einem befreundeten Haushalt. Erste Liebe zu einem Collegeboy, zum Abschluss des Aufenthalte eine Party, nach der sich Diana zunächst an nicht viel erinnern kann. Als die Erinnerungen an diese Nacht zurückkehren, wird ihr Leben ein anderes sein und werden: Sie wurde vergewaltigt, ein 2. Student hat sie festgehalten, ein Dritter zugesehen, aber nicht eingegriffen. Diana verlässt in der Folge die Schule ohne Abschluss und wird nie Kinder haben.

Sprung in die Jetztzeit: Was Diana will, ist Rache. Der Beginn ihrer aufkeimenden Freundschaft mit Daisy ist zunächst vorgetäuscht. Durch einen Zufall hat sie ihren Vergewaltiger von damals wiedererkannt und möchte auch die Frau bestrafen, die in ihren Augen alles hat: eine Familie, eine Tochter. Zunehmend bekommt sie Skrupel, wird aber ihre Geschichte zu erkennen geben, mit weitreichenden Folgen.

Das Buch stellt komplexe Fragen zur Verantwortung sexueller Übergriffe: nach der des Vergewaltigers, nach der der Eingeweihten. Es ist ein Werk über die Auswirkungen eines lange Jahre verheimlichten Angriffs auf das Leben der Beteiligten, die Macht und Auswirkungen von Rache. Wie hart sollen solche Verbrechen bestraft, oder sollten sie vergeben werden? Jennifer Weiner erwähnt explizit die me too Bewegung, die viele Frauen ermutigte und inspirierte, über ihre traumatischen, manchmal aber - und das ist fast unheimlicher - gewöhnlichen und als alltäglich wahrgenommenen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt zu sprechen und zu schreiben. Dabei finden sich in “That Summer” alle möglichen Formen, in denen diese gewaltvollen Erfahrungen in unserer Gesellschaft behandelt werden.

Mannigfaltig sind die Entschuldigungsformeln: “Jungs müssen sich ihre Hörner abstoßen.” So formuliert es der alte Vater des Vergewaltigers oder auch kürzer “So sind junge Männer eben.”

Dem Opfer wird eine Mitschuld gegeben: “Sie wusste doch, worauf sie sich einlässt, wenn sie auf die Abschlussparty des Sommers geht und dort auch noch Alkohol trinkt.”

“Vielleicht hätte sie nicht so flirten sollen.”

In den Diskussionen wird darauf hingewiesen, dass sich der damalige Täter von damals geändert hätte, und dass er vielleicht nicht so gehandelt hätte, wenn man ihm nicht die Möglichkeit gegeben hätte.

Ein Grund, der letztendlich sowohl Diana als auch Daisy in ihrem Umgang mit den Folgen der Vergewaltigung zur Offenheit zwingt, ist Daisys 15jährige Tochter. Der drohende Schrecken sich immer wiederholender Ereignisse führt beide dazu, über die Ereignisse dieses Sommers zu sprechen.

Nun ist natürlich die Frage, warum “That Summer” noch in diesem - mittlerweile doch abgekühlten - Sommer gelesen werden sollte: Jennifer Weiner hat einen Roman geschrieben, der sich mit überraschenden Wendungen einem schwierigen Teil unserer Gesellschaft nähert. “That Summer” ist leicht zu lesen, aber keine einfache Lektüre. Wie auch, wenn die Auswirkungen einer Vergewaltigung für die Betroffenen lang und traumatisch sind, die niemals vollkommen geheilt werden können und ein anderes Leben erzwingen? Jennifer Weiner nähert sich der komplexen Thematik nuanciert und präzise, aber nicht reißerisch oder polemisch.

Ihr Verdienst ist es, die Möglichkeiten zu zeigen, die eine sich verändernde Gesellschaft bietet und die Kraft weiblicher Freundschaften zu feiern. Das mögen manche als kitschig empfinden, ist aber einer der Gründe, warum der Bums hier noch nicht brennt.

Im Internet (wo sonst?) wurde “That Summer” kontrovers diskutiert. Es wurde auf einige Inkonsistenzen hingewiesen, im Wesentlichen hangelten sich gelegentliche Kritiken an den entschuldigenden Argumentationslinien der Vergewaltiger und ihrer Kompliz*innen entlang, eine politische Agenda der Verrisse war dabei oft unverkennbar.

“That Summer” und die Diskussion könnte - wieder einmal - ein Anstoß sein, über unsere Gesellschaft zu sprechen und zwar miteinander. Als die me too Bewegung bzw. die Berichte und Auswirkungen - Stichwort Cancel Culture unsere Breitengrade erreichte, wurden in meinem Bekanntenkreis in den diversen Bars und Kneipen der Stadt viele erhitzte Diskussionen geführt, deren Schwerpunkt immer Fragen waren, ob es wirklich gerechtfertigt sei, dass z. B. ein begabter Schauspieler seine Jobs infolge von Anschuldigungen verliert, obwohl noch kein Gericht seine Schuld festgestellt hat. Nie, wirklich nie, wurde mir oder den anwesenden Freundinnen und Frauen die Frage gestellt, was denn unsere Erfahrungen sind. Versuche, über die Kultur sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen und ihre Folgen und Auswirkungen zu sprechen hat es immer wieder gegeben. In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Berichte und Studien, immer schockierend, in welcher Vielzahl und Gewöhnlichkeit diese Übergriffe erfolgen.

 Ich bin es satt. Ich habe keine, wirklich gar keine Lust, über die Folgen für die Vergewaltiger und Arschgrapscher zu sprechen. Es ist mir egal, ob sie Freundinnen und Freunde und Jobs und eine Karriere und den Respekt der Gesellschaft verlieren und ob sie vor den Enthüllungen in ihrer Profession die Kunst auf eine neue Stufe gehoben haben. Immer und immer wieder kommen Männer mit ihrem übergriffigen Verhalten durch. Der letzte US-Präsident ist dabei nur ein besonders krasses Beispiel, gewählt wurde er trotzdem, auch von der Mehrheit der weißen Frauen. Es sind nicht nur Länder wie Indien oder der südamerikanische Kontinent, in dem diese Übergriffe stattfinden. Es sind eure Freundinnen, eure Nachbarinnen, die Barkeeperinnen, die Kolleginnen. Sie alle haben diese Geschichten auf Lager, der einzige Ausweg ist, den Mund aufzumachen und die Gesellschaft und ihre Institutionen zu zwingen, die Täter zu hindern und zu bestrafen. Bevor ihr das nächste Mal über einen “gecancelten” oder mit Vorwürfen konfrontieren Schauspieler sprechen möchtet, fragt sie lieber, wie es ihnen bisher so ergangen ist (und seid nicht enttäuscht, wenn sie nicht darüber sprechen wollen)

Am Ende vom Tag können doch alle froh sein, dass die meisten keine Rache, sondern nur Respekt und Gleichberechtigung wollen.

Warum diesmal dieser Rant? Dazu hat mich die Lektüre von Jennifer Weiners “That Summer” getrieben. Ein Roman, der Auswirkungen hat.

Nächste Woche diskutieren Anne Findeisen, Irmgard Lumpini und Herr Falschgold die Bücher der letzten Wochen. Wer vorlesen möchte findet diese auf lobundverriss.substack.com

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