Taffy Brodesser-Akner: Fleishman Is in Trouble - a podcast by Irmgard Lumpini, Anne Findeisen & Herr Falschgold

from 2021-11-07T04:00:43

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Es gibt Buchcover, da kann man nicht widerstehen. So sah ich kürzlich in meiner Twitter-Timeline das Cover des ersten Buches von Taffy Brodesser-Akner, einer Journalistin unter anderem für die amerikanische Zeitschrift für den gebildeten Mann, dem Playboy für Männer mit normaler Penisgröße: "GQ". Das Cover zeigt die Silhouette Manhattans, auf dem Kopf überlagert von dem gewaltigen Titel "Fleishman is in Trouble". Ein Triggerfeuerwerk! Manhattan, schon mal cool, warum auf dem Kopf? Fleishman, namentlich vermutbar Jüdin und an des Rezensenten Pseudonym ist sicher erkennbar, dass ich ein bisschen in Juden verknallt bin, nicht dass man mir jetzt mit Semitismus kommt, ich bin auch in die Briten verknutscht, ja, in alle vier, Engländer, Schotten, Waliser, Iren ich lieb doch alle.. ok, Iren sind natürlich keine Briten, aber, in Teilen seit 1921 doch und aber bald vielleicht wieder nicht mehr, wie kann man sich nur im ersten Absatz so um Kopf und Kragen schreiben.. << REWIND

Fleishman is also in Trouble und es klingt so toll, man denkt an "Beat the Reaper" von Josh Bazell, an Actionstreifen wie "Asher" im Milieu der jüdischen Mafia, Autoverfolgung, Slapstick. Ok, es kommt ganz anders, aber wenn man aus Prinzip keine Klappentexte liest, muss man sich nicht wundern.

Eines stimmt: Fleishman is in trouble. Er ist Chefarzt an einer New Yorker Klinik, Spezialist für Leberdinge, frisch geschieden, zwei Kinder, es ist Freitag, er hat ein Tinderdate und seine Frau holt die Gören nicht ab. Not good. Er wartet ein paar Stunden und vertreibt sich die Zeit mit Sexting. Fleishmann, ein eher kleiner Zeitgenosse, ein Leben lang zur Fülle neigend und sich auf Anweisung seiner Mutter seit dem 16. Lebensjahr komplett vergnügungsfrei ernährend, um nicht aufzugehen wie ein Hefekloß (wir reden von Cesar's Salad ohne Dressing, erfährt), wie gesagt, frisch geschieden, dass es Frauen gibt, die an ihm sexuell interessiert sind, oder sagen wir, dass es Frauen gibt, die sexuell interessiert sind und er hat Tinder. Es weht ein heftiger Woody Allen Stadtneurotikerwind, aber Taffy Brodesser-Akner lässt da gottlob wenig Luft ran. New York wimmelt von Klischees und der jüdische Chefarzt, wohnhaft an der Upper West Side ist nun mal ein solches, was soll man tun.

Fleishmans Ex, Rachel, kommt nicht und wir werden sie über Wochen, bis weit ins letzte Drittel des Buches nicht sehen, aber viel von ihr hören. Denn Rachel Fleishman is a b***h. Toby Fleishman, ihr Ehemann, in trouble, ist ein liebender Familienvater, kümmert sich gerne und aufopfernd um die Kleinen, bringt ein anständiges Gehalt nach Hause, nimmt die langsamere Karrierespur um mehr Zeit für die Kids zu haben und es Rachel zu ermöglichen, den Blinker auf der Karriereautobahn zu setzen. Sie arbeitet in einer Künstleragentur, bald gründet sie eine eigene, hat ein paar wirklich Hochkaräter am Start und so bringt sie auf einmal die Knete heim - mehr als Toby, deutlich mehr, und Chefärzte in Manhattan verdienen nicht schlecht wie wir seit Dr. House wissen. (Jaja, House spielt im fiktiven Princeton–Plainsboro Teaching Hospital (PPTH) in New Jersey, ich habe auch Wikipedia). Rachel ist ständig am arbeiten, schon während der Ehe nicht für ihre Kinder da, immer auf der Suche nach Wegen in die nächsthöhere Societyklasse. Und Fleishman? Er ist zufrieden, er hat den Job den er liebt, die Kinder die er liebt, eine Frau, die er liebt und die, so ehrlich muss er sein, ein bisschen über seinem Niveau ist, nicht erst seit sie mehr verdient als er. Und jetzt? Ist sie weg. B***h. Wahrscheinlich mit diesem Sam Rothberg.

Erzählt wird uns das im Buch alles von Eliza­beth Sanders, geborene Epstein, einer ehemaligen Journalistin für ein Männermagazin, wir merken, das klassische autobiographische Alter-Ego von Taffy Brodesser-Akner. Sie, also die fiktive Elizabeth Epstein, und Toby kennen sich, sie waren in den Neunzigern gemeinsam auf dem für New Yorker adoleszente Juden traditionellen, mehrmonatigen Trip nach Israel, Rumspringa, Spurensuche, die Welt sehen oder einfach nur Kiffen, Saufen und wozu sowas nun mal führt. In Tobys und Elizabeths Fall direkt in die Friendzone, Elizabeth ist einen Kopf größer als Toby, was sie nicht gestört hätte, Toby aber irgendwie doch und - es hat nicht sollen sein. Sie treffen sich wieder zu Beginn des Buches und Elizabeth übernimmt nun die Rolle nicht nur des Erzählers der aktuellen und gewesenen Troubles, in die sich die Fleishmans so begeben und nicht wieder heraus gefunden haben, sondern auch ihrer eigenen. Sie schrieb Reportagen für ein Männermagazin, gute, erfolgreiche. Sie hatte ein Vorbild dort, einen Mentor vielleicht sogar, dem sie nacheiferte, aber sie ist doch nur das Feigenblatt, die Quotenfrau, die aus einer anderen Perspektive Schreibende und wie sie merkt, dass da mit der großen Reportagejournalistinnenkarriere nichts mehr wird, entschied sie sich zum offensichtlichen: Hausfrau, zwei Kinder, ein Haus in New Jersey - und später vielleicht mal ein Buch.

Welches wir hier lesen.

Ja, das ist verwirrend. Aber wir rezensieren hier Literatur und keine Kinderbücher, da darf das. Taffy Brodesser-Akner schreibt ihre eigene Geschichte als Frau in einer Männerwelt, in ein Buch über einen Ehemann, der (in der heteronormativen Weltsicht) die Ehefrau in der Ehe war und über Rachel Fleishman, die Ehefrau in der Rolle des karrieregeilen Ehemanns. Da kann einem schon mal schwindlig werden und so soll das. Wir empören uns zusammen mit Elizabeth und Toby über seine Frau, die Welt der Karriere, der Suburbs, des Geldmachens, der Unzufriedenheit, und werden immer sicherer in unseren Ansichten - bis wir, genauer: Elizabeth, eines Sonntagmorgens Rachel begegnet und die Story, jetzt schon 300 Seiten im Buch, aus ihrer Sicht hören. Und wieder stellt sich ein Vertigo ein und die Perspektive auf den Kopf. Verdammt, kann denn nichts eindeutig sein?

Warum soll man "Fleishman ist in trouble", mal abgesehen vom Titel, lesen? Ich habe keine Ahnung, es ist seltsam. Das Buch ist weder besonders spannend noch wahnsinnig originell. Die Bilder zum Buch sind in unser aller Netflix-Hirn eingebrannt, "Grey’s Anatomy" Krankenhaus, "Revenges" Hamptons, "Billions" New Jersey, ja, irgendwie passt sogar die familienidyllische "Cosby Show" auf eine seltsame Art und Weise.

Ich, im Alter der beginnenden Weisheit, und irgendwie genug "passendes" Zeug konsumiert habend, neige unterdessen zu Abseitigem, hier Familiendramen mit Vater Mutter Kind, der ich nie ein Vater sein, weder die Mutti im Bett noch das Kind im Haus haben wollte, was interessieren mich Scheidungsdramen? Doch der Literaturkopf sagt, na kuck mal einer an, Probleme kann man haben und interessant darüber schreiben.. Wenn man, ob der Unerträglichkeit, die meisten fremden Menschen im realen Leben nicht kennenlernen will, ist die sichere Distanz der Literatur die genau richtige um, hier im Fall von "Fleishman is in Trouble", über die seltsamen Wegkreuzungen von Menschen nachzudenken: Die drei Freunde Toby, Elizabeth und Seth waren zur gleichen Zeit in Israel wie ich und ich könnte schwören, ich hab mit ihnen in der Bar in Tel Aviv gesessen, die Posse war dort allenthalben, wir haben uns vielleicht unterhalten, "Yeah, when the wall came down" "Incredible, Awesome, Goodbye" und dann ging Toby zurück auf die University nach NYC und Herr Falschgold putzt noch ein bisschen die Küche im Kibbutz, meldet sich dann wieder arbeitslos, bis die Deutsche Bank die Kreditkartenabrechnung schickt, etwas, was unsere Manhattanites wie Elizabeth, Rachel, Sam und Seth unsere Haupthelden, eher keine Bauchschmerzen bereitet haben dürfte.

Bin ich neidisch auf deren Leben? Maximal! Weil ..ich dann Bücher über Ostdeutsche Scheidungen interessant fände und das war mir bisher noch nicht vergönnt.

In der nächsten Woche bespricht Anne Findeisen den wiederentdeckten Roman der bereits 1951 verstorbenen, niederländischen Autorin Marianne Philips mit dem verheißungsvollen Titel “Die Beichte einer Nacht”.

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